From mathinfo@math.uni-muenster.de Fri Sep 9 02:08 MET 1994 Date: Fri, 9 Sep 94 02:14:50 +0200 From: Andreas Schlueter Subject: Hyper-G als ... Zur Diskussion ueber das Informationssystem der Mathematik moechte ich einige Bemerkungen beitragen. Wir haben in Muenster neben unserem Informationssystem, das auf WWW basiert, auch temporaer den Hyper-G-Browser harmony installiert, um auch Hyper-G testen zu koennen. Dabei hat sich gezeigt, dass Konzeption und Prinzip von Hyper-G tatsaechlich viel ausgefeilter sind als die von WWW, was die Behandlung der bekannten Probleme bei der Suche im globalen Informationsangebot angeht. Hyper-G kann sicher als das anspruchsvollere System angesehen werden. Nun sind die konzeptionellen Vorteile von Hyper-G in der Diskussion, nicht zuletzt auch in dem Fragebogen, schon deutlich herausgestellt worden. Ich moechte einige andere Gesichtspunkte ansprechen, die m.E. fuer die Planung des Aufbaus eines verteilten Informationssystems wichtig sind und einige bereits angesprochene aus etwas anderer Perspektive angehen. Ich habe versucht, sie in griffige Punkte aufzuteilen, was aber mir selbst etwas angreifbar erscheint, da viele untereinander verbunden sind. 1. Offenheit Das System soll verschiedenste Komponenten und Anwendungen integrieren koennen. Eine vollstaendige Anpassung lokaler Informationsstrukturen an ein solches System kann im allgemeinen nicht durchgesetzt werden. Natuerlich muss die Kommunikation zu anderen Informationssystemen problemlos moeglich sein. (Wenn ich es bedenke, ist dieser Punkt im Fragebogen wohl hinreichend behandelt) 2. Entwicklungspotential Es darf keine Inselloesung fuer Deutschland oder die Mathematik werden, die keine Chance hat, mit der weltweiten Orientierung der Mathematik mitzuhalten. Das erfordert das Potential, auch in sehr grossem Massstab die Funktions- faehigkeit der technischen Grundlage des Informationssystems gewaehrleisten zu koennen. Ich gehe davon aus, dass dazu diese Aufgaben auf mehrere, international akzeptierte Schultern verteilt werden muss. Dies gilt umso mehr, je mehr Unterstuetzung einzelner Institutionen und Informationsanbieter von zentraler Stelle notwendig ist. 3. Verlaesslichkeit Als Mathematiker wollen wir nicht in Entwicklungsarbeit an solchen Systemen verwickelt werden, wir wollen lediglich bestehende Systeme Nutzen. M.E. gehoert dazu, dass zum Zeitpunkt der Installation (jedenfalls in "durchschnittlichen" Fachbereichen) ein verlaessliches, betriebssicheres System zur Verfuegung steht, das eine einigermassen gefestigte Funktionalitaet besitzt, und daher nicht staendig durch neuere Releases ersetzt werden muss. 4. Unabhaengigkeit Es sollte vermieden werden, dass durch die Entscheidung fuer ein bestimmtes Systems unnoetige Abhaengigkeiten von einzelnen Institutionen entstehen, die zu Akzeptanzschwierigkeiten im FB fuehren koennen und von Gruppen ausserhalb eines DMV-Projekts wahrscheinlich noch weniger toleriert wuerden. Auch aus diesem Grund ist die Verteilung der Arbeit auf breitere Kreise wuenschenswert. 5. Kreativitaet Das System sollte den Freiraum zu Eigenentwicklungen in verschiedenen Institutionen (vor allem ausserhalb des DMV-Projekts) gewaehren. Einen Grund fuer den Erfolg von WWW sehe ich darin, dass in diesem Rahmen die Kreativitaet der Internet-User mit offenen Armen aufgenommen wurde. Dadurch koennen viele Features mit aufgenommen werden, die sich einfach nicht bezahlen liessen, wenn man jemanden einstellen muesste, um sie zu realisieren. Gerade ein solches schliesslich weltweites Informationssystem sollte sich dieses Potentials nicht berauben. Ohne freiwilliges Engagement auf allen Ebenen wird dieses Projekt nicht erfolgreich sein koennen. 6. Akzeptanz Letztlich ist der Informationsgehalt entscheidend, der davon abhaengt, wie weit das System akzeptiert wird. Die Akzeptanz haengt von der Konzeption des Systems, seiner Realisierung und den obigen Faktoren ab, ist aber keine Funktion davon, sondern auch eine Folge anderer Zusammenhaenge. Zur Sicherheit ist es unabdingbar, dass Nutzbarkeit der grossen verfuegbaren Systeme in Informationsangebot- und -abfrage besteht. Dies ist derzeit vor allem eine Anforderung an Hyper-G, die Situation kann sich moeglicherweise auch aendern. Diese Fragen halte ich bei der Einfuehrung eines Informationssystems fuer wichtig. In manchen Punkten scheinen sie mir die uneingeschraenkt positive Bewertung von Hyper-G etwas zu relativieren, wobei WWW natuerlich mit den gleichen Problemen zu kaempfen hat. Im uebrigen erscheint mir das eindeutige Bekenntnis zu Hyper-G zur jetzigen Zeit nicht sehr zweckmaessig. M.E. schraenkt es den Freiraum fuer Teilnehmer an einem entsprechenden Projekt unnoetig ein. Warum sollte ein Fachbereich nicht zunaechst mit dem einfacheren (?) WWW beginnen, um in den Problemkreis hineinzuschnuppern und eigene Anforderungsprofile entwickeln zu koennen? Anders herum: Warum sollte die gesamte Organisation der Informationsstruktur auf ein spezielles Hypertextsystem abgerichtet sein, wenn doch in der notwendigerweise langen Laufzeit eines solchen Projekts Neuentwicklungen moeglich und sogar zu erwarten sind? Ich meine, dass die Auswahl eines Systems ein integraler Bestandteil des Projekts an jedem einzelnen Fachbereich ist und nicht vorab vorgegeben werden kann. Eine gewisse Eigenstaendigkeit der teilnehmenden Institutionen ist sehr zu wuenschen. Ich bin sogar davon ueberzeugt, dass diese nicht nur zu hoeherer Akzeptanz des Projekts, sondern auch zum Streben nach Standards fuehren wird, die aber dann aus wirklichen Erfahrungen geboren sind und nicht nur einer Vorgabe folgen. Ich moechte uebrigens noch einmal betonen, dass auch ich die Konzeption von Hyper-G fuer ueberlegen halte (das scaling-Problem gibt mir aber etwas zu denken) und ein Informationssystem auf dieser Basis fuer wuenschenswert halte, wenn es auch den angesprochenen Faktoren Rechnung tragen kann. Hier scheint mir die Zusammenarbeit zwischen den Hyper-G und WWW-Gruppen ein vielversprechender Ansatz zu sein. Andreas Schlueter